Werdegang

Zuerst wollte er Förster werden, sein Stiefvater, ein bekannter Kunsttischler, schlug ihm Holzbildhauerei vor. In Hallstatt und Altmünster lernte er gotische Bildwerke zu kopieren, wählte für seine Zeichenstudien vor allem Dürer als Vorlage, besuchte dann die Kunstschule (Bildhauerei) in Linz. Michael Gruber, 1946 als Oberösterreicher in Wien geboren, war 18, als er sich für einen Beruf entscheiden sollte. „Ich habe damals gemacht, was man von mir verlangte“, erinnert er sich, „aber es hat mich immer gereizt, gute, schöne Formen zu gestalten, etwa eine Armbrust oder Schiffe wie Skulpturen zu bauen“.

Nachdem er Tonmodellieren gelernt und als Gasthörer die Design-Abteilung der VOEST besucht hatte, entschied er sich für Bildhauerei. Anfang 1976 begegnete er in der Bildhauerklasse Johannis Avramidis an der Wiener Akademie der bildenden Künste Wolfgang Götzinger, dessen streng kalkulierte Arbeiten für Gruber den letzten Anstoß bedeuteten, sich der Skulptur zuzuwenden.

Man sieht es seinen Objekten in ihrer formalen Perfektion kaum an – aber am Anfang jeder dieser Skulpturen steht ein spontanes Drauflosarbeiten, ohne langes Vorzeichnen, ohne Plankonstruktionen, ohne Modelle. „Ich fange in Ton oder Holz an und demoliere mein vorhandenes Material so lange, bis sich die richtige Form herauskristallisiert hat, die dann technisch überarbeitet wird.“

Ein Arbeitsprozess, der für jede Skulptur oft große Zeiträume verlangt – die jährlich „Ausbeute“ liegt oft nur bei drei, vier Arbeiten - . Aber für Gruber, der früher auch als Kirchenrestaurator tätig war, hängt dieser Arbeitsprozess mit der psychischen Herausforderung zusammen, Form, Raum und Material in einem Spannungsfeld zu erleben. „Raum und Form – sobald man sie vollends erfasst – sind ein und dieselbe Sache“, schrieb Henry Moore 1952.

Ein Leitsatz an dem Gruber festhält. Umso mehr als ihn in seinen gestreckten Figuren, Köpfen und Würfelbildern vor allem das Verhältnis von Innen- und Außenraum und die Kraft, die nach außen drängt, als Problem beschäftigen. Das heißt: Skulptur ist für Gruber vor allem ein architektonisches Problem. Er prüft deshalb immer wieder die strenge Symmetrie auf ihre Wirkung, er prüft die „Hoheit der Form in Spannung und Ruhe“, er prüft die Spannung von Form, Innen- und Umraum .....

Versucht man Grubers Arbeiten im Rahmen bildhauerischer Tradition zu sehen, fallen einem die vermittelnden Züge eines vielfältigen Wissens und eine mitunter sogar eklektische Verbundenheit zur Vergangenheit auf. Von Arp, Picasso, Moore und Giacometti, Calder und Mirò hat Gruber sich faszinieren lassen. Was er nicht verleugnet. Im Gegenteil, er hält es mit Henry Moores Satz: „Alle gute Kunst hat gleichermaßen abstrakte und surrealistische Elemente enthalten ... Ordnung und Überraschung, Intellekt und Vorstellungskraft, Bewusstes und Unbewusstes“. Und in ähnlicher Weise scheint mir Gruber eine Position, eine Sattelstellung zwischen kubistischen, konstruktivistischen und surrealistischen Erfahrungen gesucht zu haben.

Doch muss man hinzufügen, dass er all diese oft unbewussten „Vor-Bilder“ und Erfahrungen in höchste eigenwilliger Weise übersetzt hat: Wenn er etwa Surrealistisches aus Europas Tradition vereinnahmt, ist es nicht etwa die „Schauerromantik surrealistischer Gruselkabinette mit dem raffinierten Panoptikum, das der Surrealist aus dem Objets troevès, den gefundenen Gegenständen, zusammenstückte, und als ’physique de la poésie’ (Eluard) ausgab“.

Nicht die Bizarrerien und schwarzen Grotesken der Schreckenskammern, nicht den lauten Witz der Schaubude findet man bei Gruber – das Unheimliche, das er zur Form verdichtet, ist tieferen mystischen, archetypischen Ursprungs. Wie sein tragischer Ernst, den er in aller Stille, ohne Melodramatik vorträgt.

Wenn Gruber seine idolhaften Gestalten und Kuben wie Körperhieroglyphen bald aus Ton, bald aus Holz oder Metall baut, so verlangen diese Gebilde eigentlich nach einer Abgrenzung gegen das Profane, nach einem rituellen Schauplatz, auf dem sich das stille Leben der Dinge ereignen kann. Verbergen und Freilegen sind für ihn Hauptprobleme. Also verlegt Gruber das nicht erschaubare Leben in seine kubischen Labyrinthgebäude, in deren stilles Leben einzudringen Unmöglichkeit bleibt – auch wenn Öffnungen und Treppen mitunter Einstige zu bieten scheinen, die einem vielleicht ein Vordringen in diese archäologischen Szenerien ermöglichen könnten.

Und man kann nur rätseln und ahnen ...: Wer sind sie, die da drinnen, die in den lautlosen Labyrinthgängen und –hallen der Würfelheiligtümer, hausen und verehrt werden? Sind es Köpfe und Statuen fremder Kulturen, wie Gruber sie als Einzelobjekte immer wieder konstruiert oder aus gefundenen Gegenständen formt? (Er sagt selbst, dass ihn vor allem das „Kopfhafte“ vieler Objekte reizt, die er beim Trödler kauft, um sie für seine Skulpturen zu verwenden.)

Betrachtet man diese Gestalten, diese erwartungslosen Aufrechten, Sitzenden, diese Köpfe, Bauobjekte, so fällt auf, dass sie alle gleichsam den Atem anzuhalten scheinen. Ihre Sprache ist lautlos, ihre Gesten sind erstarrt, ein tiefer Traum liegt über diesen maskenhaften Gesichtern; ein Schleier der kühlen, verwunschenen Romantik einer zum magischen Zeichen gewordenen Baukunst. Und es scheint mir besonders charakteristisch, welche Mischung aus Verdeckung und Entblößung und Unnahbarkeit hier wirkt.

Umso stärker wirkt, als Gruber für seine Arbeiten häufig gefundene Objekte verwendet – Flaschenöffner, Pommes-frites-Pressen, alte Pumpen, die er wegen ihrer originellen Form schätzt, aber so unauffällig und neutral in die Form seiner Plastik integriert, dass die Gegenstände ihre ursprüngliche Funktion fast schon verleugnen und innerhalb ihres neuen Kontexts kaum wiedererkennbar sind. Das trennt Gruber von jenen Surrealisten, die den Betrachter durch provozierenden Schock der Verfremdung berühren wollen. Aber Schock als Aspekt der Arbeit spielt in diesen stille Objekten Grubers keine Rolle. Da interessiert ihn der andere Aspekt der surrealistischen Kombinatorik - die Metamorphose – schon viel mehr: denn Doppeldeutigkeit schätzt er; die Gratwanderung zwischen tiefem mystischen Ernst und feiner Ironie zelebriert er mit Genuss; und die im europäischen Manierismus wurzelnde Kunst sublimer Täuschung spielt er in seinen kombinierten Objekten bis in Details raffiniert aus.

Karlheinz ROSCHITZ